„Durchaus positiven Rückenwind“

"Kleine Zeitung": Patricia Neumann im Interview.

Unsere CEO Patricia Neumann im Gespräch mit Journalisten der Kleinen Zeitung über unsere aktuellen geschäftlichen Chancen, flexible Arbeitszeitmodelle, den Stellenwert von Bildung/Weiterbildung und den Weg zur smarten Fabrik.

Patricia Neumann
CEO Patricia Neumann

Der Abschwung der Industrie dauert ungewöhnlich lang, sie ist im dritten Rezessionsjahr. Sehen Sie entgegen aller aktuellen Prognosen einen Silberstreif am Horizont?

Dieser Befund ist sehr stark auf Österreich bezogen. Die Siemens AG Österreich bündelt die Verantwortung für Zentral- und Osteuropa bis Zentralasien. Hier sehen wir schon, dass manche Länder in der Industrie auch wachsen. Da gibt es noch mehr Rückenwind als in Ländern wie in Österreich oder Deutschland, wo wir rückblickend mit hoher Inflation und hohen Energiepreisen gekämpft haben. Die Inflation ist aktuell weniger ein Thema, aber der Auftragseingang seitens der Industrie ist noch immer verhalten.

Siemens Österreich ist in Sparten unterwegs, die boomen – wie Elektrifizierung, Digitalisierung. Bleibt Ihr Unternehmen von der Rezession verschont?

Wir haben das Geschäftsjahr Ende September abgeschlossen. Ich kann ihnen daher noch keine Details nennen. Die Monate und Quartale davor verspürten wir aber durchaus positiven Rückenwind über alle Sektoren hinweg. Unser Portfolio spielt sehr stark in die Nachhaltigkeit hinein. Was drückt auf eine Industrie? Es sind die Energiepreise und der Energieverbrauch. Jedes Gebäude, egal ob alt oder neu, ist auf der Suche nach Energieeffizienz. Da können wir helfen Kosten zu sparen, etwa mit Energiemanagementlösungen und Digitalisierung.

Die Industrie beklagt zu hohe Arbeitskosten einerseits und eine zu hohe Teilzeitquote andererseits. Wie sehr belasten diese Themen Siemens in Österreich?

Arbeitszeittrends sind bei uns weniger ein Thema, weil Siemens viele flexible Arbeitszeitmodelle anbietet. Bei den Arbeitskosten wird natürlich von einem Headquarter auf eine Landesorganisation geblickt und gefragt, ob man angesichts so hoher Kollektivvertragserhöhungen noch wettbewerbsfähig ist. Wenn die Inflation in einem Land so hoch ist, verstehe ich das Ansinnen, die KV-Erhöhungen daran anzupassen. Faktum ist, dass der Wettbewerbsdruck enorm hoch ist und der Druck wird nicht kleiner, sondern größer.

Siemens ist ein globaler Konzern: Hat sich Österreichs Standortqualität im internationalen Vergleich so sehr verschlechtert, wie beklagt wird?

Wir sind an einem kritischen Punkt. Das gilt für Österreich, aber auch für Europa. Das Gute ist, dass dieser kritische Punkt, an dem wir sind, jetzt mehr erkannt und mehr thematisiert wird als noch vor zwei Jahren. Ich glaube, es ist jetzt auch die Erkenntnis da, dass wir etwas ändern müssen.

Welche dringenden Wünsche für den Wirtschaftsstandort formulieren Sie an die nächste Bundesregierung?

Es reicht nicht, allein einen attraktiven Standort zu haben, wo Energie, Inflation und der Faktor Arbeit unter Kontrolle sind. Wettbewerbsfähigkeit heißt für mich, ein innovatives Produkt zu haben, das sich von den Wettbewerbern differenziert. Die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in Österreich sind gut. An die nächste Regierung appelliere ich: Forschungsprämie unbedingt beibehalten, vielleicht sogar ausbauen. Auf Forschung würde ich einen großen Fokus legen. Ein weiterer Punkt ist die Deregulierung, also weniger Bürokratie, das würde vor allem den kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen.

Und die Arbeitskosten?

Wenn man sich die Statistiken anschaut, wo wir in Europa im Vergleich zu anderen Ländern stehen, sind wir nicht wettbewerbsfähig. Die große Aufgabe der Regierung wird sein, hier Maßnahmen zu setzen.

Was würden Sie im Bereich der Bildung verbessern?

Wir brauchen mehr Interdisziplinarität in der Ausbildung. Im Hochschulbereich, an den HTLs, in der Lehre hat sich in den letzten Jahren viel getan, weniger an den AHS. In der Oberstufe würde ich das Thema Informatik verdoppeln oder verdreifachen. Künstliche Intelligenz wird uns alle einmal in unserer Tätigkeit unterstützen, ein Grundverständnis davon braucht man in jeder Branche.

Von der Bildung zur Weiterbildung: Wie hält es Siemens mit dem Thema?

Es mag abgedroschen klingen, aber das lebenslange Lernen ist Realität. Egal, ob man gerade von der Ausbildung kommt oder schon 20 oder 30 Jahre im Berufsleben ist, Weiterbildung ist immer präsent. Ich selbst habe mich vor Kurzem in das Thema KI vertieft und das sind mehrere Stunden pro Woche. Das ist ein großer Hebel für uns alle. Als Arbeitgeber muss man die Möglichkeiten geben, als Arbeitnehmer muss man sie wahrnehmen.

Die schwache Wirtschaft sorgt dafür, dass die Arbeitslosigkeit zunimmt. Bei Siemens Österreich ist 2023 der Beschäftigtenstand gestiegen. Steigt er auch aktuell?

Wir haben immer noch offene Stellen, die Zahl der Beschäftigten ist stabil.

In Oberösterreich betreibt Siemens ein Kompetenzzentrum Automobilindustrie. Wie erleben Sie aktuell die Umwälzungen in diesem Sektor?

In der Branche herrscht Verunsicherung, wohin sich die Nachfrage bewegt. Ich kann nicht für die Automobilindustrie sprechen, aber in Europa ist übersehen worden, wie schnell der asiatische Markt anzieht, der sich jetzt für die E-Mobilität entschieden hat.

Die Automobilindustrie bleibt wichtiges Standbein für Siemens?

Wir investieren aktuell in unser Kompetenzzentrum. Ich persönlich glaube, dass individuelle Mobilität sehr wichtig ist, auch für die Generationen der Zukunft. Ob ich dann mit dem Zug, mit der Straßenbahn oder mit dem Auto fahre, sei dahingestellt. Aber Mobilität ist eine der Errungenschaften für die Gesellschaft und deswegen glaube ich, wird die Automobilindustrie ihren Weg finden.

29 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gehen auf die Industrie zurück: Sie zu senken, ist das Geschäft von Siemens. Wie sieht Ihr Weg zur smarten Fabrik aus?

Die Kreislaufwirtschaft ist ein großes Thema, aber da stehen wir, etwa beim Kunststoff, noch am Anfang. Wenn ich einen Schritt zurückgehe, geht es darum, in der Produktion so wenig Ressourcen wie möglich einzusetzen, also Energie, Rohstoffe. Auf der technologischen Seite ist hier einer unserer großen Schwerpunkte die Simulation. Bevor es in die analoge Welt geht, lässt sich alles simulieren – vom Design des Produktes bis zur Produktion, Nachproduktion, Logistik und Kreislaufwirtschaft. Das ist ein riesiger Hebel, um ressourcenschonend unterwegs zu sein. Da passiert im Moment sehr viel, sowohl bei Siemens als auch bei unseren Partnern. Die Vision ist das industrielle Metaverse, ein digitaler Zwilling in all dem, was wir tun. 60 Prozent der Fertigungsaufgaben können automatisiert werden.

40 Prozent des gesamten Energiebedarfs entfallen auf Gebäude. In Sachen Effizienz liegt noch vieles brach.

Gebäudetechnik wird immer komplexer und die Digitalisierung ist auch hier ein großer Hebel, den Energieverbrauch zu optimieren. Studien sagen, je mehr Digitalisierung ins Netz kommt, desto weniger physische Infrastruktur muss ausgebaut werden, weil das bestehende Netz besser ausgelastet und gesteuert werden kann. In der Seestadt Aspern in Wien erforschen wir mit einem 100-köpfigen Team die Zukunft der Energieversorgung und –verteilung und untersuchen, wie Gebäude selbst zu aktiven Teilnehmern im Energiemanagement werden können. Oder aber testen Technologien zur Energiespeicherung.

Man sucht händeringend nach Einsparungspotenzial. Auf der anderen Seite steigt der Strombedarf.

Die Herausforderung für Energiesysteme ist, dass sich die Stromnachfrage durch die Elektrifizierung bis 2050 verdoppeln wird. Das ist ein riesiger Rückenwind im Moment für unser Geschäft.